Das Wort des Jahres ist „Zeitenwende“
Heute hat die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) es bekannt gegeben: Das Wort des Jahres 2022 ist „Zeitenwende“. Die Jury, bestehend aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft sowie deren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hatte zuvor diejenigen Wörter aus tausenden von Einsendungen ausgewählt, die die öffentliche Diskussion dominiert und das Jahr wesentlich geprägt hatten. Die Jury begründet ihre Entscheidung so: „Das keineswegs neue Wort, das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Scholz verwendet.“
Bei „Zeitenwende“ handelt es sich dieses Mal also nicht um eine Wortneuschöpfung, wie sie unter den weiteren Wörtern, die zur Auswahl standen, durchaus zu finden ist. Bundeskanzler Olaf Scholz verwendete den Begriff in seiner Rede am 27. Februar 2022 im Bundestag im Zusammenhang mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wenige Tage zuvor. Dieser Krieg und seine Auswirkungen würden eine „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“ markieren.
Was auch mitschwingen mag, so die GfdS, ist eine Art emotionale Wende, mit der sich viele Menschen auseinandersetzen müssen: Angst vor einem 3. Weltkrieg oder einem Atomkrieg ist offenbar dieses Jahr vielfach zu spüren gewesen. Aber auch aus anderen Gründen wurde das Jahr häufiger als Wendepunkt empfunden: Neben dem Krieg in der Ukraine sorgen Pandemie, Klimawandel und die hohe Inflation für große Unsicherheit und erfordern ein Umdenken.
Die Begriffe auf Platz 2 und 3 der Auswahlliste, „Krieg um Frieden“ sowie „Gaspreisbremse“, stehen in direktem Zusammenhang mit dem Wort des Jahres 2022. Auch „Inflationsschmerz“ auf Platz 4 passt noch entfernt in diesen Kontext. „Klimakleber“, ein Wort, das wir den Aktionen der Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ zu verdanken haben, hat es auf Platz 5 geschafft.
Scholz, die Zweite: Auch der flapsige „Doppelwumms“, auf Platz 6, geht auf sein Konto. Etwas abgeschlagen ist die „neue Normalität“ (Platz 7), gefolgt von „9-Euro-Ticket“, „Glühwein-WM“ und den „Waschlappentipps“ zum Wassersparen.
Bemerkenswert ist bei „Zeitenwende“, dass „Zeit“ so gesehen wird, als bewege sie sich linear vorwärts und laufe geradlinig ab, sonst wäre ja kein Richtungswechsel möglich. So jedenfalls sieht es Jochen A. Bär, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Vechta und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für deutsche Sprache. Das heißt, innerhalb der Zeit kann man rechts oder links abbiegen oder gar einen U-Turn vollziehen.
Zum Abschluss sei die Frage erlaubt, ob es, mit Verlaub, nicht ein kleines bisschen verfrüht ist, von einer Zeitenwende zu sprechen. Warten wir es ab und schauen wir aufmerksam und gespannt in die Zukunft.