Jugendsprache dient der Abgrenzung, ist Zeichen der Nonkonformität, trägt zur Identitätsfindung und -bildung bei. Das wissen wir längst, denn Jugendsprache gibt es nicht erst seit dem 21. Jahrhundert. Jeder ist durch diese Phase gegangen, sei es die Hippie-Generation der 60er Jahre, seien es die Jugendlichen der wilden 70er, der bunten 80er oder gar der „oberaffengeilen“ 90er. Kann seitdem eine Verrohung der Sprache festgestellt werden? Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich die Zeiten gewandelt haben und dass die heutige Jugend gewalttätiger und provokanter ist als man selbst als Jugendlicher, oder?
Verrohung der Jugendsprache schon auf dem Schulhof
Geht man heute auf einen Schulhof, traut man seinen Ohren nicht – es fallen Wörter wie „Hurensohn“, „Fotze“, „Schlampe“. Eine solche Verrohung scheint gang und gäbe zu sein. Die Begrüßungen „Ey, Alter, was geht ab?“ und „Yeaaaah, Diggi, was steht an?“ mögen zwar gewöhnungsbedürftig klingen, sind aber harmlos. Dann hört man jedoch „Yo, Spasti, alles fit?“ und „Hey, du Opfer!“. Das kann nicht freundschaftlich gemeint sein! Ebenso wenn Mädchen als „Schlampe“ oder mit dem englischen Äquivalent „Bitch“ (wahlweise auch „Biatch“) bezeichnet werden. Das sind nicht nur Slangausdrücke, das sind regelrechte Beleidigungen. Erhitzen sich die Gemüter, steigt das Level der Beleidigungen und der Aggressivität nur umso mehr. Respektvoller Umgang miteinander ist etwas anderes.
Für Erwachsene stellt sich die Frage, ob Jugendliche, die so mit ihresgleichen sprechen, noch respektvoll mit anderen Menschen umgehen können. Die Frage ist berechtigt, denn eine solche Brutalität überträgt sich durchaus auf das Verhalten. Sprechen und Handeln sind eng miteinander verbunden wie Neurowissenschaftler Joachim Bauer erläutert: „Die Sprache kann Handlungen nicht nur ersetzen, sondern auch ankündigen und ihnen den Weg bahnen.“
Katalysatoren des jugendsprachlichen Wandels
Wodurch wird dieser Wandel der Sprache – manche würden sagen: deren rapider Verfall – ermöglicht? Seit den 90er Jahren hat sich das Internet etabliert und heutzutage hat in der westlichen Welt fast jeder Anbindung daran. Außerdem nimmt seit den 2000er Jahren die Popularität der sozialen Netzwerke und anderer medialer Plattformen (z. B. YouTube) stetig zu. Jugendliche haben folglich schnelleren Zugang zu einer großen Fülle an Informationen, sind besser miteinander verknüpft und können eigene Inhalte einfach veröffentlichen. Diese Aspekte haben natürlich Vorteile, bringen aber auch Nachteile mit sich: z. B. der Zugriff auf Pornographie-Seiten oder Cyber-Mobbing.
Es kommt hinzu, dass Jugendliche durch Fernsehen und Werbung ständig Darstellungen von Sex und Gewalt exponiert sind. Es wird suggeriert, dass gewalttätige, fluchende Männer attraktiv und erfolgreich sind. Frauen werden häufig auf ihren Körper und ihren Sex-Appeal reduziert. Auch Musik spielt eine wichtige Rolle. Unter Jugendlichen beliebte Rapper wie Kay One oder Haftbefehl besingen soeben beschriebenes Weltbild mit denselben vulgären und gewalttätigen Ausdrücken der Jugendsprache. Durch YouTube gelangen solche Videos schnell zu Ruhm. Es ist verständlich, dass Jugendliche davon angezogen sind, denn Rangordnung und Sexualität sind seit jeher wichtige Themen in der Pubertät. Viele Jugendliche wollen sich durch eine möglichst provokative und vulgäre Jugendsprache beweisen, wobei sie teilweise diese Einstellung auf ihre Handlungen übertragen. Insbesondere Lehrer sind dem ausgesetzt. Vermehrt äußern sie ihre Bedenken und Ängste ob der jugendsprachlichen Verrohung. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband erstellte zum Thema jugendsprachliche Verrohung sogar ein Manifest, um auf die Bedenken der Lehrer aufmerksam zu machen.
Die Verrohung der Jugendsprache – ein globales Phänomen?
Der Wandel der Jugendsprache ist keine deutsche Eigenheit: Er wird in Europa und Amerika, aber auch in Afrika und Asien beobachtet. In England z. B. begrüßen sich Jugendliche seit einiger Zeit als „bruv“ (abgewandelte Kurzform von „bro“ = Bruder) oder „chav“ (wahrscheinlich aus dem Rumänischen „chavo“ = Junge, Jugendlicher). Und auch dort bemerken Linguisten die stetige Zunahme von Vulgarismen. Mädchen bezeichnen einander als „skank“ ((hässliche) Schlampe) oder „basic bitch“ (in etwa: eingebildetes Mädchen mit durchschnittlichem Aussehen). Durch YouTube-Videos, Vines u. Ä. werden Aufnahmen von solchen Streits zwischen Mädchen, den sog. „cat fights“, leicht verbreitet. Auch in der englischsprachigen Musik stellt man eine Verrohung und Sexualisierung fest, beispielsweise bei Nicki Minaj oder Kanye West. Diese sind ebenfalls in nicht anglophonen Ländern berühmt und nehmen so länderübergreifend Einfluss auf Jugendliche.
Sprachwissenschaftler aus der ganzen Welt beschäftigen sich mit dem Thema der jugendsprachlichen Verrohung, da sie eine prägende Komponente der Gesellschaft von morgen darstellt. Jedoch ist es schwierig, genaue Aussagen darüber zu treffen, wie sich der jugendsprachliche Wandel auf die zukünftige Gesellschaft auswirken wird. Begibt man sich in die sozialen Netzwerke, scheint es, dass dieser Wandel irreversibel ist, da ebenfalls Erwachsene verstärkt zu vulgärer Sprache greifen. Die deutschen Linguisten Norbert Dittmar und Nils Bahlo vertreten hingegen die Ansicht, dass sich die Jugendsprache mit zunehmendem Alter des Sprechers in Richtung „Erwachsenensprache“ entwickelt und dies „einen kognitiven Reifeprozess“ darstellt.
Wer sich in die Eigenheiten der aktuellen Jugendsprache stürzen möchte, kann in den folgenden Online-Wörterbüchern schmökern:
Deutsch: Sprachnudel
Englisch: Urban Dictionary
Man kann sich aber auch an diesen Online-Übungen probieren.