Wie kreativ ist künstliche Intelligenz?
Da stutzten aber einige in der zweiten Dezemberwoche: ein neuer Harry Potter? Ganz ohne große Ankündigung und Marketing-Tamtam?
Na ja, immerhin passt das relativ schmale Buch namentlich in die Romanreihe von Joanne K. Rowling, deren Bände – zwischen 1997 und 2016 mit einer Gesamtauflage von etwa einer halben Milliarde Exemplaren erschienen – den größten Bucherfolg der 2000er-Jahre und die zweiterfolgreichste Filmreihe der Geschichte repräsentieren.
Aber irgendwie ist bei dem hier, nach bisher acht Bänden der Erfolgsautorin, alles ein wenig anders – nicht nur der sperrige Titel „Harry Potter und das Porträt von so etwas wie einem großen Haufen Asche“.
Vollständige Verwirrung stellt sich spätestens beim Schmökern im 13. Kapitel „Der Gutaussehende“ ein, das jetzt veröffentlicht wurde. Bekannte Namen und Inhalte prallen auf einen Schreibstil, der mittig zwischen Blindtext und Gebrauchsanweisungen für Elektrokleingeräte aus chinesischer Fertigung angesiedelt zu sein scheint. Wenn man nach zwei, drei Sätzen erst einmal aufgehört hat, nach einem wie auch immer gearteten erzählerischen roten Faden zu suchen, legt man das Buch entweder schnell aus der Hand – oder lacht sich über die aneinandergereihten Sätze voller sinnfreier Blödeleien schlapp.
Probe gefällig?
„‚Gar nicht mehr so hübsch‘, dachte Harry, als er Hermine in die scharfe Soße tunkte.“ Oder „Harry riss sich die Augen aus dem Kopf und warf sie tief in den Wald. Voldemort schaute überrascht zu Harry, der nun nichts mehr sehen konnte.“
Also, Tränen aus den Augenwinkeln wischen, tief Luft holen – hier kommt die Aufklärung.
Tatsächlich stammt dieser Harry Potter natürlich nicht aus der Feder der legendären Joanne K. Rowling, deren kreatives Verdienst es vor allem ist, eine derart in sich geschlossene und stimmige Fantasie-Welt unendlich detailreich ersonnen und beschrieben zu haben. Vielmehr haben die experimentellen Köpfe der aus Schreibern, Künstlern, Entwicklern und Maschinen bestehenden amerikanischen Gruppe „Botnik“ https://www.botnik.org/ alle verfügbaren HP-Bände in einen Rechner eingelesen und dann eine Software ermuntert, der Heldensaga einen weiteren Band hinzuzuaddieren. Die künstliche Intelligenz des Programms merkte sich also Namen, Charakterbeschreibungen sowie Erzählverläufe und lernte, was einen typischen Harry-Potter-Satz ausmacht. Dann machte sie sich ohne Hemmungen ans kreative Schreiben.
Das Ergebnis ist ein „Text“, der dem mit der Reihe vertrauten Leser einerseits vielfältige Erlebnisse des Wiedererkennens beschert, andererseits aber ohne jeden Zusammenhang und ohne Sinnhaftigkeit auskommen muss – so wie
„Das Hausschwein von Hufflepuff blähte sich auf wie eine Kröte. Dumbledore lächelte es an und legte seine Hand auf den Kopf: ,Du sollst nun Hagrid sein.ʻ“
Ein interessantes Experiment also, das zwar grandios in die Hose gegangen ist, aber immerhin zeigt, dass künstliche Intelligenz noch lange nicht intelligent oder gar kreativ genug ist für die Erstellung verständlicher und origineller Texte.
Deshalb unser Tipp: Lassen Sie Ihre Texte auch weiterhin bei Wort für Wort erstellen – von Menschen, die sowohl von der Materie als auch von der Sprache etwas verstehen.