Die fünfköpfige Jury hat entschieden. Unwort des Jahres 2022 ist Klimaterroristen.
Das politisch und institutionell unabhängige Gremium, das vorwiegend aus Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten besteht, begründet sein Votum so:
„Klimaterroristen“ bezieht sich auf Akteurinnen und Akteure, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen. Der Ausdruck wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivistinnen und Aktivisten sowie deren Protest zu diskreditieren. Die Jury kritisiert dies, weil Klimaaktivistinnen und -aktivisten dadurch mit Terroristinnen und Terroristen gleichgesetzt und kriminalisiert sowie diffamiert werden. Unter Terrorismus versteht man aber das systematische Ausüben und Verbreiten von Angst und Schrecken durch radikale physische Gewalt. Durch die Gleichsetzung von klimaaktivistischen Protesten mit Terrorismus werden gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in einem Atemzug mit Gewalt und Staatsfeindlichkeit genannt. Zudem verschiebt sich der Fokus der Debatte von den berechtigten inhaltlichen Forderungen der Gruppen hin zum Umgang mit Protestierenden (z. B. Präventivhaft).
Aus aktuellem Anlass hat sich die Jury von „Unwort des Jahres“ entschieden, den Ausdruck „Sozialtourismus“ auf Platz 2 zu setzen. 2022 bezeichnete Friedrich Merz Menschen aus der Ukraine, die Zuflucht vor dem Krieg suchen, als „Sozialtouristen“. Die Jury sieht darin eine Diskriminierung derjenigen, die vor dem Krieg flüchten und in Deutschland Schutz suchen; zudem verschleiert der Ausdruck ihr gesetzlich verankertes Recht darauf. Die Perfidie des Wortgebrauchs besteht in der Verdrehung der Realität, da das Grundwort „Tourismus“ eine dem Vergnügen und der Erholung dienende freiwillige Reisetätigkeit impliziert. „Sozial“ reduziert die kriegsbedingte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen, und stellt die Flucht in den Hintergrund.
Auf Platz 3 zum Unwort des Jahres findet sich „defensive Architektur“. Hier handelt es sich um eine Übertragung aus dem Englischen (defensive/hostile urban architecture). Im Deutschen ist der Ausdruck auch unter der Alternativbezeichnung Anti-Obdachlosen-Architektur bekannt. „Defensive Architektur“ ist eine militaristische Metapher, um eine Bauweise zu bezeichnen, die sich gegen bestimmte wehrlose Personengruppen (zumeist Menschen ohne festen Wohnsitz) im öffentlichen Raum richtet und deren Verweilen an einem Ort als unerwünscht betrachtet. Die Jury kritisiert die irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die marginalisierte Gruppen gezielt aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte.