Deutschland eilig Faserland: Christian Kracht schickt den Leser auf eine Reise durch eine hektische Welt, überschwemmt von Marken und Konsum und bar jeglicher Moral.
Titel: Faserland
Autor: Christian Kracht
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (2010)
Genre: Roman (176 Seiten)
Kurzinhalt von Christian Krachts Faserland:
In Faserland begleitet der Leser den namenlosen Ich-Erzähler auf seiner Reise von Nord nach Süd. Er ist Mitte 20 und vermutlich der Sohn reicher Eltern, denn Geld hat er im Überfluss, eine Arbeit scheinbar nicht. Er trägt stets seine Barbourjacke, raucht und trinkt viel, trifft auf seiner Reise alte Bekannte und Freunde, mit denen er zumeist belanglose Gespräche führt, und hält es nie lange am gleichen Ort aus. Egal, was er tut und wohin er geht – immer ist er angewidert von seinen Mitmenschen, von der Mentalität der Deutschen, vom Zeitgeist. Er beweist nicht den besten Charakter, urteilt vorschnell über andere und ergreift stets die Flucht, wenn ihn etwas überfordert, anstatt sich einer Situation zu stellen. Der exzessive Alkoholkonsum trübt seine Wahrnehmung und es ist ihm gleichgültig, sich in Hotelzimmern zu erbrechen.
Leider verhelfen ihm weder sein überstürztes Weiterreisen noch die Wirkung von Drogen in irgendeiner Weise zur Selbsterkenntnis – im Gegenteil: Genau wie die meisten seiner Freunde weiß der Mittzwanziger weder, wo er hingehört, noch, wer er ist oder sein möchte.
Die Reise durch das Faserland endet in der Schweiz – in Zürich. In der Dämmerung sucht der Protagonist nach dem Grab von Thomas Mann, kann es aber nicht finden. Er bittet einen Fremden, ihn für 200 Franken mit einem kleinen Ruderboot über den Zürichsee zu bringen. Seine Zukunft bleibt ungewiss.
Warum mich Christian Krachts Faserland so fasziniert:
Der Roman Faserland hat bei mir ein seltsam mulmiges Gefühl hinterlassen. Er ist zwar sehr kurzweilig, liest sich einfach und schnell, stimmt jedoch immer wieder nachdenklich. Gerade in der präzisen Beschreibung des Lebens eines wohlhabenden, oberflächlichen jungen Mannes ohne strukturierten Tagesablauf, dem alles egal zu sein scheint, verbirgt sich eine erstaunliche Tiefsinnigkeit und eine intensive Auseinandersetzung mit dem moralischen und sozialen Vakuum junger Menschen in Deutschland. Wenige Jahre nach dem Mauerfall – der Roman spielt in seinem Ersterscheinungsjahr 1995 – ist ihr Heimatland eben kein Vaterland, das Halt und Geborgenheit bietet, sondern ein in kleine Stücke zerrissenes Faserland, in dem man sich an Statussymbole und Konsum zu klammern versucht und den Sinn des eigenen Lebens nicht findet.
Mit seinem klaren, derben und umgangssprachlichen Stil schreckt Christian Kracht vor keiner noch so drastischen Formulierung zurück und macht vor der Beschreibung peinlicher und entwürdigender Situationen ebenso wenig Halt wie vor der Darstellung trivialster und banalster Details.
Viele Momente in Christian Krachts Faserland sind grotesk-komisch und entlocken dem Leser ein Schmunzeln oder Lachen, jedoch stets mit bitterem Nachgeschmack; denn eigentlich ist die Geschichte des Ich-Erzählers nicht komisch, sondern in höchstem Maße tragisch.
Obwohl die Erstveröffentlichung von Faserland schon fast 20 Jahre zurückliegt, halte ich die Problematiken immer noch für brandaktuell. Ein absolut empfehlenswertes Buch!